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Festivalkritik von  Klaus Dapper
 
26. Moers Festival, 16. - 19.Mai.1997        Tops und Flops
Das unaufhörliche Knirschen zwischen dem künstlerischen Stellenwert des international anerkannten  Festivals einerseits, immer wieder geäußerter Kritik am Festivalkonzept und dem steigenden Kostendruck  andererseits war Thema des Festvortrags von Dr- Jürgen Schmude, dem früheren Bundesminister für  Bildung und Wissenschaft, einem entschiedenen Festivalbefürworter. In der Tat ist schon so oft das Ende des Moerser Festivals in Aussicht gestellt und dann doch abgewendet worden, daß trotz der  beängstigenden Knappheit im städtischen Haushalt und traditioneller Querelen zwischen Stadtverwaltung und künstlerischer Leitung ein weiters Überleben des Festivals als sicher erscheint. Dennoch spürt man gewisse Veränderungen. So wurde in diesem Jahr die Vermietung der "Buden" im Park um das Festzelt herum in andere Hände gelegt. Im Interesse der Erzielung höherer Erträge ist eine spürbare Zunahme von Pommes- und Wurstbuden zu beobachten, wo früher „Energiebällchen" und Vollkornkuchen feilgeboten wurden. Langjährige Festivalkenner beäugen solche Veränderungen mißtrauisch und befürchten eine Veränderung des von Hippie- und Alternativkultur geprägten Ambiente hin zu einer Art Jazz-Kirmes. Es bleibt abzuwarten, ob das veränderte Angebot von der Mehrheit der Festival- und Parkbesucher eher angenommen oder abgelehnt wird. Ein weiteres Anzeichen für die angespannte Finanzlage war, daß dieses Mal das Zelten im Park erstmals nicht mehr kostenlos war, sondern mit DM 5O,- pro Zelt zu Buche schlug.
 
Zur Musik: Auch dieses Jahr ging es in Moers nicht darum, die großen Helden der Jazzcharts live zu erleben, wie sich der künstlerische Leiter Burkhard Hennen äußert. Junge Musiker mit eigenständigen Ideen und neue  musikalische Konzepte werden hier vorgestellt, die Suche nach neuen Energien und aufsteigenden Sterne des neuen Jazz ist das Thema des Festivals.

Die spektakulärste Performance des Festivals mit dem Namen "In the Air" fand leider im Saale statt. Geplant war, das gut 20köpfige Ensemble auf zehn Heißluftballons zu verteilen und für ein gemeinsames Konzert "in die Luft" ,steigen zu lassen. In jedem Ballon sollte ein UKW-Sender die Musik zu einem Ü-Wagen auf dem Festivalgelände zu übertragen, der die verschiedenen Signale zu einem Stereosignal zusammenmischen sollte. Dieses Stereosignal sollte über den WDR 3-Sender ausgestrahlt werden und über Transistorradios in den  Ballons gleichzeitig für alle Musiker als Monitor dienen. Dirigiert worden wäre alles über Sprechfunk und Kopfhörer von Detlef Brenken, von dem dieses Konzept stammt.

Wegen einer Gewitterwarnung mußte die Ballonfahrt jedoch leider unterbleiben. So standen die Akteure in einem riesigen Halbkreis auf der Bühne und führten ihr Projekt "indoor" auf.  Was als multimediales  Spektakel recht interessant zu werden versprach, wirkte auf der Bühne - auf rein musikalische Elemente reduziert - eher kläglich. Es zeigte sich hier exemplarisch die Schwäche vieler Konzept-Kunst-Aktionen,  bei denen das Interessantaste oft die konzeptionelle Idee ist. Wenn sie wegbricht oder der Zuschauer/Zuhörer sie aus seinem Bewußtsein streicht und seinen Blick alleine auf die künstlerische Ausführung richtet, ist das Ergebnis oft enttäuschend. In unserem Fall wirkten die Mitwirkenden austauschbar. Individuelle Fähigkeiten der einzelnen Beteiligten gingen im Konzept unter, jazztypische Interaktion konnte sich nicht entwickeln.

Höhepunkt am Samstag war der Acid Jazz der Gruppe „Liquid Soul" um den Saxophonisten Mars Williams aus Chicago. Die Besetzung entspricht mit einem dreiköpfigen Bläsersatz und einer vierköpfigen Rhyhtmusgruppe etwa dem Erscheinungsbild einer normalen Rhythm & Blues-Band. Anstelle eines Sängers kommt der Rapper MC The Dirty MF dazu, schließlich noch der DJ Jesse De La Penna. Einige Stücke beginnen mit Hiphop-Grooves vom Plattenteller, in die dann die Band einsteigt. Auch in den Stücken gibt es immer wieder Breaks und  Soloteile für den DJ, die er dann scratchend und mit Musikfetzen vom Plattenteller bedient. Die Band, die bereits einige Jahre durch Tanzschuppen des Mittelwestens getourt ist, hat es mittlerweile zu einer gemeinsamen Amerikatournee mit „Sting" gebracht. Die langjährige gemeinsame Arbeit macht sich bemerkbar; neben der unbändigen Spielfreude spürt man ein großes Maß an  Routine der Auftritt von „Liquid Soul" war eine perfekte Show.

Plattentip für Acid Jazz Fans: „Liquid Soul" Ark2172438 54573.

Vielversprechend war der Auftritt von Foley, der die letzten vier Jahre mit Miles Davis bis zu dessen Tod 1991 tourte. Damals spielte er einen eigenartigen Oktav-Bass, der aus den tiefsten vier Seiten der normalen E-Gitarre bestand. Diesmal kam Fowley mit dem normalen Bass. Vielversprechend der Konzertbeginn mit virtuosen und abgedrehten Bläserlicks auf einem HipHop-Teppich der Rhythmusgruppe. Vielversprechend, als  sich eine Posaunistin zu Saxophon und Trompete gesellte, dann die Ergänzung durch drei Chordamen. Es blieb weiterhin vielversprechend; irgendwie hatte man den Eindruck „gleich kommts" - bis etwa zum Ende des Konzerts. Interessantes Bläserbacking und Chorbacking, sich hartnäckig nicht  verändernde Grooves und Akkordmuster steuerten auf einen imaginären Höhepunkt zu, der leider nicht eintrat. Schade, vielleicht  nächstes Mal.

Ein weiterer, eher leiser Höhepunkt des Festivals war der Auftritt des amerikanischen Cellisten Tom Cora und seiner Band „Roof".  Abgesehen von Ausbrüchen, die dem entsprach, was der  Normalbürger, mit dem Begriff „Free Jazz" verbindet, war das Konzept von „Roof" eher kammermusikalisch angelegt, zugeschnitten auf den wenig machtvollen, eher zarten Klang des von dem Bandleader gespielten Instruments. Seine Mitspieler waren Luc Ex mit einer (verstärkten) akustischen Baßgitarre und Michael Vatcher mit einem Mini-Schlagzeug, das er sehr leise und sensibel aber spannungsvoll spielte. Dominiert wird „Roof" im positiven Sinne von Sänger Phil Minton. Auf zum Teil liedhafte und folkloristische Grooves ergoss er die volle  Bandbreite des mit der menschlichen Stimme Möglichen. Mal mit der Belcanto-Stimme eines Heldentenors, sich zwischendurch auskotzend, jodelnd, flötend und zwitschernd wie ein Vogelstimmenimitator, dann wieder mit Geräuschen, die man eher afrikanischem Großwild zuordnen würde, wie ein Muezzin ausrufend, dann wie ein Bazarhändler in einer Phantasiesprache aufgeregt seine Waren feilbietend, rief er immer wieder Beifallsstürme des Publikums hervor. Nach ebenfalls hier gehörten Sängerinnen, die über langgezogenes „Huuua" und hysterische  Schreie nicht hinauskamen, ein Erlebnis.

Sun Ra ist tot, es lebe Sun Ra. Nach dem Tod der Free Jazz-Legende Sun Ra im Jahre 1985 leitet nun der Altsaxophonist Marshall Allen das „Sun Ra Arkestra". Bekleidet wie Pharaonen oder babylonische Würdenträger, behangen mit goldfarbenen oder paillettenbestickten Tüchern betraten die Musiker des  Orchesters in Bigbandstärke die Bühne. Teilweise gar nicht so avantgardistisch waren zugrundeliegenden Kompositionen, selbst Swing Standards wie „East of the sun, west of the moon" fügten sich Bruchlos in das Repertoire. Das besondere Klangbild ergab sich aus leicht schräg arrangierten Bläsercharts, die noch etwas schräger vorgetragen wurden. Die Rythmusgruppe dagegen davon unbeeindruckt die swingende oder Jazzrockige Begleitung weitgehend durch. Vor allem der in vielen Soli zur Geltung kommende Gitarrist Bruce Edwards erinnerte bei seiner Begleitung eher an Joe Pass und spielte auch seine Soli absolut traditionell. Dagegen brachten die verschiedenen Bläser auf Handzeichen des Leaders ihre Soli im freien Stil. Aufgebrochen wurde die musikalische Form immer wieder durch atonale Klangflächen und Akzente der Blechbläser, ebenfalls exakt auf Handzeichen des Leaders. Entsprechend den musikalischen Modeströmungen waren auch Rap-Teile eingefügt worden. Eigentlich passierte wenig Unerhörtes; nach fast demselben Strickmuster arbeitete letztes Jahr in Moers eine andere, von David Murray geleitete Big Band. Aber es war für die Verehrer von Sun Ra ein großes Ereignis zu sehen und hören, das  Sun Ras musikalische Konzepte auch nach seinem Tode weiterleben.

Den Festivalabschluß bildete ein Konzert des "Vienna Art Orchestra", das am Pfingstmontag auf den Tag genau sein 2Ojähriges Bestehen feierte. In der 15köpfigen Formation sind neben dem Leiter Mathias Ruegg  nur noch Bumi Fian (tp) und Uli Scherer (p) aus der alten Stammbesetzung mit dabei. Aber trotz der vielen Besetzungsänderungen ist das typische Klangbild des Vienna Art Orchestra im Wesentlichen unverändert.  Gerade im direkten Vergleich zu manchen amerikanischen Ensembles auf diesem Festival betreibt das VAO einen spürbar intellektuelleren Umgang mit dem Jazz. Mit der Raffinesse der Arrangements, der ultrapräzisen Umsetzung und der Kompetenz ihrer Solisten ist das VAO auf seinem Gebiet in Europa wohl unerreicht. Die bewies das Orchester in Moers mit einem hochkarätigen und stimmungsvollen Jubiläumskonzert.

  Klaus Dapper

Fotos: Horst Schnase 


 
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Erstveröffentlichung im Praxismagazin für Bands & Entertainer  " live - MUSIC - artist ".


 
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