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Vintage Saxophones 

Selmer Altsaxophon Balanced Actionselmer balanced action

Von Klaus Dapper

 
Ältere Saxophone von Selmer Paris sind meist gesuchte und oft hoch bezahlte Instrumente.

Das wohl berühmteste Modell ist das von 1954 - 1973  gebaute Modell Mark 6 (Mk 6), aber was ist mit den Vorgänger-Modellen? Zum Teil sind sie ähnlich gesucht  und ähnlich hoch bezahlt. Aber hier sind es mehr die Profis, Sammler  und musikalischen Feinschmecker, die ganz spezielle Spieleigenschaften suchen, die sich vom  Mk 6 unterscheiden.  Diese Suche findet selten anonym bei ebay oder per Kleininserat statt, die Instrumente wechseln ihren Besitzer meist direkt von Musiker zu Musiker.  Solch ein Instrument will man schon vorher ausprobieren, außerdem besteht bei über 50 Jahre alten Instrumenten die Gefahr, dass sie sich aufgrund nachlässiger Behandlung durch oft verschiedene Besitzer  und durch unsachgemäße Reparaturen in einem schlechten Zustand befinden.

selmer balanced actionHeute wollen wir das Modell „Balanced Action“ (BA) vorstellen, eingeführt im Jahr 1935 und  produziert bis 1947. Auf dem Catwalk befindet sich ein versilbertes Altsaxophon mit der Serien-Nummer 33103. Ein Blick auf die Selmer homepage belehrt uns, dass es kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs im Jahr 1946 hergestellt wurde. 

Der Begriff „Balanced Action“ bezieht sich in erster Linie auf die Klappen für den linken kleinen Finger. Seit den Zeiten von Adolphe Sax befinden sich bei älteren Saxophonen die langen Achsen für die Schallbecher-Klappen auf der linken Seit des Korpus, links neben den Tonlöchern des Hauptrohrs. Drücker und Klappenarm befanden sich auf der selben Seite der Achse, („einarmiger Hebel“) wobei wegen des Abstands zwischen Hauptrohr und Schallbecher des Instruments ein Missverhältnis zwischen dem relativ kurzen Drückerarm und dem um ein Vielfaches längeren Klappenarm bestand. Man musste für die tiefen Töne  also kräftig drücken. Das Problem wurde vergrößert durch das „artikulierte Gis“. „Artikuliertes Gis“ bezeichnet eine Klappenkoppelung zwischen den drei tiefsten Klappen (B, H, Cis) und der Gis-Klappe: die drei Drücker wirken zusätzlich auf den Gis-Drücker. Dies ist wünschenswert für die Bindungen tief B-As, tief H-Gis und tief Cis-Gis, bei denen der linke kleine Finger einfach liegen bleiben kann. Es bedeutet aber auch, dass der jeweilige  Finger die harte Feder des Gis-Drückers zusätzlich überwinden muss und dies schon mal schmerzhafte Ausmaße annimmt.  Mehrere Hersteller reagierten auf das Problem mit Rückzug: sie schufen eine abschaltbare  Gis-Koppelung.

 Mit Beginn der Serie „Balanced Action“ setzten die Selmer-Techniker  um den genialen Chef-Entwickler Maurice Lefevre eine damals sensationelle Idee um: Die Achsen für die drei Schallbecher-Klappen wurden – erstmals in der Geschichte des Saxophonbaus – zwischen Hauptrohr und Schallbecher positioniert! Der Vorteil: die Achsen kamen  den Tonlöchern am Schallbecher entscheidend  näher. Drückerarm und Klappenarm befanden sich nun an verschiedenen Seiten der Achsen („zweiarmiger Hebel“) und waren etwa gleich lang, ihre Länge war sozusagen ausbalanciert. Sie ließen sich nun bequemer und mit wesentlich weniger Fingerdruck betätigen, auch das „artikulierte Gis“ war schlagartig kein Problem mehr.  Weitere Vorteile: die langen Achsen waren beim Spielen weit vom Körper weg und so gegen Druck und Verbiegen gesichert. Damit die Finger der rechten Hand nicht mit den Schallbecherklappen in Kontakt kamen, wurde der Schallbecher um etwa 15 Grad nach links verdreht angesetzt. Es dauerte noch bis in die 70er Jahre, bis diese Idee sich bei allen Herstellern und Baugrößen (abgesehen von Sopransaxophonen) weltweit durchsetzte.selmer balanced action

 Weiter features des Modells „Balanced Action“ waren:

 1. Die Achse des Gis-Hebels wurde – gemeinsam mit den langen Achsen – sozusagen in den ersten Stock verlegt, d.h. oberhalb der mittleren Klappenreihe. Der Gis-Drücker erhielt einen ovalen Perlmutt-Einsatz.

 2. Die tiefe Cis-Klappe war nicht mehr starr sondern gegliedert. Sie arbeitete mit zwei gegenläufigen Federn. Dies erlaubte einen Cis-Schluss beim tiefen H und B. Der Selmer Prospekt von 1935 beschreibt dies so:  Low C# is double sprung and articulated.“

 3. Die Schalbecher-Stütze war erstmals als Ring geformt. Laut  Selmer Prospekt war dieser Ring in erster Linie als „shock-absorber“ gedacht. Wenn der Schallbecher einen Schlag abbekommt, soll der Ring durch Verformung einen Teil des Drucks neutralisieren. Die alten, starren Verbindungs-Stützen geben den Druck vollständig an das Hauptrohr weiter und drücken es ein. Niemand ahnte zu dieser Zeit, dass dieser Ring für viele Jahrzehnte zu einem unverwechselbaren Erkennungsmerkmal der Selmer-Saxophone werden sollte, vergleichbar mit dem Mercedes-Stern. Es war Selmer aber bereits damals bewusst, dass die neue Stütze einen Einfluss auf die Akustik des Saxophons hatte („Permits free vibration of bell“). 

4. Die Schutzkörben für die tiefsten Klappen erhielten ihre noch heute gültige Form, die  Filz-Anschläge lassen sich mit einem Schraubendreher einstellen. 

5. Die Oktavautomatik erhielt 1935 im Prinzip die von modernen Selmer Saxophonen bekannte Form.

6. ein gegenüber dem Vorgänger veränderter Konus-Verlauf versprach einen kräftigeren Ton. Nochmals der Selmer-Prospekt: “The new Selmer alto is unequalled for tonal brilliancy, timbre, and carrying power. The improved bore will do wonders for your tone; you'll notice at once the added vigor and vitality”.

Während der 12 Jahre,  in denen die „Balanced Action“ Serie aktuell war, wurde an der Bohrung, speziell an Krümmung und Verlauf des S-Bogens und Position des Oktav-Lochs immer weiter geforscht und Änderungen vorgenommen. Daher erzielt man mit unterschiedlichen Jahrgängen der Saxophone unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich Klang und Intonation. Auch mechanisch wurde das „Balanced Action“ immer wieder verändert. Bei späteren Instrumenten wurde ein (anfangs nicht vorhandener) Kleiderschutz ergänzt, beim Altsax wurden die anfangs getrennten Schutzkörbe für die tiefsten beiden Klappen durch den heute noch verwendeten Doppel-Korb ersetzt. 

selmer balanced actionNach Einschätzung des Autors dieser Zeilen werden die  bei der BA- Serie umgesetzten Neuerungen nicht genug gewürdigt. 1935 wurde mit der BA-Serie der vielleicht wichtigste Schritt vom Saxophon des 19. Jahrhunderts zum modernen Saxophon des 20. und 21. Jahrhunderts getan. Das „Balanced Action“ von 1935 war eine Art Prototyp des modernen Saxophons. Es entspricht mechanisch zu 80 % dem derzeitigen Stand des Saxophonbaus bei Selmer. Da sich zunächst die japanischen, dann die taiwanesischen und später die chinesischen Saxophonhersteller eng am „Selmer Design“ orientierten,  baut der weltweite gesamte Saxophonmarkt zum guten Teil auf den Errungenschaften des „Balanced Action“ von 1935 auf. Die amerikanischen Hersteller wie Conn, Buescher und Martin haben auf die Entwicklungen von Selmer jahrzehntelang nicht reagiert und bauten bis in die 50er Jahren noch prinzipiell  im 20er Jahre Design. Dies könnte ein wichtiger Grund für den Niedergang des amerikanischen Saxophonbaus sein. King übernahm als einziger amerikanischer Hersteller mit dem Super 20-Modell beim Alt und Tenor die „Balanced Action“ -Klappenanordnung. Aber das war es leider schon zu spät, zu der Zeit hatte Selmer den Profi-Markt auch in Amerika bereits fest im Griff.  
 
Das abgebildete Altsaxophon ist ein sehr spätes BA. Es entstand nur wenige Monate vor dem nächsten Modellwechsel, es ist ein Übergangs-Modell. Es zeigt bereits eine weitere bahnbrechende Neuerung, die eigentlich erst mit dem  Folgemodell „Super Balanced Action“ (SBA) verbunden wird: der abnehmbare Schallbecher. Mehr darüber in der nächsten Folge.   


Zu den Spieleigenschaften unseres Selmer BA: Es geht sehr leicht los, vor allem in der tiefen Lage ist es erstaunlich leicht spielbar. Zu seiner Zeit war das BA ein richtig lautes Horn, bis heute ist es an Lautstärke allerdings von fast allen Fabrikaten überholt worden. Es hat einen vollen runden Ton, es klingt nicht so nicht so schlank und zentriert wie das berühmte Mk6. Die höchsten Töne haben weniger Volumen als die Tiefe, das muss man durch sein Spiel ausgleichen. Auffällig ist bei unserem BA, dass die in der Regel nach oben tendierenden höchsten Töne eher tief intonieren.
selmer balanced action

Man muss sie also anheben, was den jahrelang eingeübten Reflexen etwas zuwider läuft. Von einem  anderen BA-Besitzer erhielten wir zum Vergleich den S-Bogen eines anderen BA. Der Bogen war kürzer, er passte offensichtlich nicht zu unserem Instrument: die genannten Töne waren hiermit viel zu hoch. Frisch gebackene BA Besitzer haben unter Umständen noch eine längere Suche nach einem richtig gut stimmenden S-Bogen vor sich, um die optimalen Spiel-Eigenschaften aus ihrem Horn herauszuholen. 

Zum Zeitwert:  Gehandelt werden Selmer BAs  heute etwa zwischen 2000,-  und 5000,- EUR, je nach Erhaltungszustand.  Die BA Tenorsaxophone erzielen deutlich höhere Preise als die Altsaxophone, die lackierten scheinen gefragter zu sein als die versilberten. Mit einer vollständig erhaltenen Lackierung  sollte allerdings nach 60 bis 70 Jahren nicht mehr gerechnet werde. 

Mehr Info auf der Selmer homepage:

www.selmer.fr/html/english/sax/saxs/serie/serie.htm

 

 

 

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Erstveröffentlichung im  " SONIC  Magazin für Holz- & Blechblasinstrumente ".


 
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